Komplexitätsreduktion durch Produktabkündigung in 3 Schritten

Karl Bråtegren

In unserem Beitrag 3 modulare Maßnahmen, um gestärkt aus der Krise hervorzugehen haben wir die Komplikationen beschrieben, mit denen sich Unternehmen konfrontiert sehen, wenn Sie versuchen, das angebotene Produktportfolio zu optimieren, um kurzfristig Komplexität und Kosten zu reduzieren.

Bei der Entfernung von Produktvarianten aus dem angebotenen Portfolio sprechen wir von Produktabkündigung. Dieses Abkündigen von Produktvarianten ist Teil des aktiven Portfoliomanagements. Wenn die Komplexität durch die Einführung neuer Produktvarianten zur besseren Erfüllung des Kundenbedarfs nicht unaufhörlich gesteigert werden soll, so muss das Portfolio auch kontinuierlich bereinigt und überholte Produktvarianten abgekündigt bzw. entfernt werden.


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Im besten Fall folgt dieser Prozess einer Produktroadmap, die Teil einer umfassenden Modularisierungsstrategie ist. Die Entwicklung eines modularen Baukastens mit passender Strategie und Produktroadmap ist eine Investition, die Unternehmen in Krisenzeiten meist scheuen. Aber auch ohne Strategie und Roadmap versuchen Unternehmen kurzfristig Komplexität durch Produktabkündigung zu reduzieren.

Damit es gelingt Produkte erfolgreich abzukündigen, müssen diese richtig ausgewählt werden. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, wieviel Komplexität durch eine Produktvariante reduziert werden kann, welcher Umsatzverlust u. U. mit der Entfernung der Produktvariante einhergeht, wie dieser kompensiert werden kann und was mögliche Effekte auf andere Teile des Produktportfolios sind. Hierbei sollten Skaleneffekte in Abwägung zu direkten Kosten gezielt berücksichtigt werden.

Wenn diese Aspekte nicht vorab systematisch ermittelt und verglichen werden, führt dies dazu, dass der erwartete positive Effekt der Produktabkündigung ausbleibt und die nachhaltige Bereinigung des Produktportfolios nicht gelingt. Im Rahmen dieses Blogartikels zeigen wir Ihnen in 3 Schritten, wie Sie unprofitable Produktvarianten für die Abkündigung identifizieren können.

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„The Long Tail“ – Produktvarianten mit geringer Stückzahl und wenig Umsatz

Vielen Unternehmen fällt es leichter, neue Produkte zu ihrem Sortiment hinzuzufügen als alte Produkte zu entfernen. Mehr Produkte führen aber auch zu mehr Komplexität und wenn die Komplexität steigt, leiden Qualität, Skaleneffekte und Entwicklungsgeschwindigkeit, was letztlich zu steigenden Gesamtkosten führt.

Untersuchungen zu dieser Thematik haben gezeigt, dass nur ein Bruchteil von neu eingeführten Produktvarianten auch einen signifikant neuen Umsatz generieren. Mit der Zeit generieren Unternehmen einen sogenannten long tail von Produkten mit geringer Stückzahl und geringem Umsatz bei hohem Beitrag zur Gesamtkomplexität im Unternehmen.

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Die Abbildung zeigt die Illustration dieses typischen Phänomens. Die Produkte im „long tail“ sind mit ihren geringen Umsätzen bei gleichzeitigen Kosten für Administration, Entwicklung und Verwaltung nicht profitabel.

Unprofitable Produkte erkennen

Als Lösungsanbieter für Modularisierung ist unser primärer Ansatz Komplexität durch Modularisierung für unsere Kunden deutlich zu reduzieren, ohne Produktvielfalt zu eliminieren. Bei Modularisierung handelt es sich um einen mittel- bis langfristigen Ansatz, es gibt aber auch die Möglichkeit schon kurzfristig Benefits zu ermöglichen.

Das Ausphasen unprofitabler Produkte ist ein Ansatz, um schnell Komplexität und assoziierte Kosten zu reduzieren. Das Risiko dieses Ansatzes im Vergleich zu einer vollumfänglichen Modularisierung ist, dass die Einschränkung des angebotenen Produktportfolios möglicherweise zu einer Reduktion des Umsatzes führen kann.

Leseempfehlung: Einen umfangreichen Überblick zum Thema Komplexität bietet Ihnen unser Blog-Artikel “Alles, was Sie zu Komplexität und Komplexitätskosten wissen müssen”. Darin lesen Sie auch, wie Sie im Unternehmen am besten mit Komplexität umgehen.

Wie können unprofitable Produkte identifiziert werden? Und wie kann vermieden werden, dass das Ausphasen zu Umsatzverlusten bei anderen komplementären Produkten führt?

Hierzu muss folgendes verstanden werden:

  • Was ist der Effekt in Komplexitätsreduktion, wenn eine Produktvariante entfernt wird?
  • Wie groß ist der verlorene Umsatzbeitrag und wie kann dieser kompensiert werden?
  • Was sind die Auswirkungen auf wichtige Kunden-Accounts und wie können diese aufgefangen werden?

3 Schritte zur Auswahl von Produktvarianten zur Abkündigung

Im Rahmen der Entwicklung modularer Produktarchitekturen hat sich die Anzahl der Teilenummern in einem Produktportfolio als gutes Maß für die assoziierte Komplexität etabliert. Jede individuelle Teilenummer ist mit Komplexitätskosten verbunden. Es ist nun zu ermitteln, welche dieser Kosten durch die Reduktion der Teilenummer eliminiert werden können.

Wenn wir hier von Komplexitätskosten sprechen betrachten wir die Kosten, die entstehen, um ein Teil zu entwickeln, zu beschaffen und zu verbauen. Mit den hier beschriebenen drei Schritten können Sie die zuvor gestellten Fragen beantworten:

Schritt 1 – Kandidaten für Produktabkündigung identifizieren:
Der Ausgangspunkt ist eine Liste von Produkten, die Kandidaten für die „Ausphasung“ sind. Produkte mit geringen und abnehmenden Umsätzen sind typischerweise gute Kandidaten. Eine gängige Methode zur Identifikation von Kandidaten für die Produktabkündigung ist eine ABC-Analyse. Das Ergebnis einer solchen ABC-Analyse ist hier vereinfacht dargestellt.

Krise_Rezession_ABC-AnalyseSchritt 2 – Komplexitätskostenreduktion ermitteln:
Im zweiten Schritt wird ermittelt, welche Anzahl an individuellen Teilenummern für diese Produkte benötigt werden. Durch die Abkündigung können diese Teilenummern aus den Systemen (CAD, ERP), der Lagerhaltung und der Verwaltung entfernt werden. Zu beachten sind servicerelevante Teilenummern und deren zukünftige Handhabung. Die so einsparbaren Komplexitätskosten können nun vom Umsatzbeitrag durch die Produktvariante abgezogen werden. Die Differenz ist der tatsächliche Verlust durch die Abkündigung des Produkts. Die Grafik illustriert die Einsparpotentiale durch Komplexitätsreduktion in verschiedenen Abteilungen.

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Leseepmpfehlung: Lesen Sie in unserem Beitrag Kosten senken, Umsatz steigern: Die finanziellen Potenziale der Modularisierung, wie Sie für Ihr Produkt die Komplexitätskosten identifizieren und den finanziellen Impact eines modularen Baukastens ermitteln können.

Schritt 3 Einfluss auf Kunden-Accounts und andere Produktvarianten erkennen und mittigieren:
Im dritten Schritt wird der Einfluss auf wichtige Kunden betrachtet. Werden die Abkündigungskandidaten an wichtige Kunden verkauft und sind sie Teil gebündelter Bestellung, die ggf. verloren gehen könnten? Wenn dies der Fall ist muss das Risiko bewertet und Alternativen identifiziert werden.

Effekte durch Abkündigung unprofitabler Produktvarianten

Was lässt sich mit dem Ausphasen der richtigen Produkte erreichen?

Basierend auf Daten aus einer Vielzahl von Projekten hat sich gezeigt, dass die Varianz von Teilenummern und Produktvarianten typischerweise für 30 – 40 % der operativen Kosten verantwortlich ist (exkl. der direkten Materialkosten).

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Wenn Ihr Unternehmen diesem Profil entspricht und Sie 5 % Ihrer als unprofitabel identifizierten Produktvarianten, abkündigen, würde das zu einer Reduktion der operativen Kosten von 2 % führen (exkl. direkter Materialkosten). Diese vereinfachte Rechnung gibt einen ersten Eindruck erreichbarer Effekte. Für den einzelnen Fall hängen Einsparpotenziale natürlich vom Produkt- und Unternehmenskontext ab und sollten detailliert vorab berechnet werden. Einschließlich möglicher Kompensierung durch gezielte Inkaufnahme von Überspezifikation gegenüber Skaleneffekten.

Ein weiterer positiver Effekt ergibt sich durch die Verlagerung von Stückzahlen, wenn sich der Umsatz von abgekündigten Produktvarianten zu den verbleibenden Produktvarianten verschiebt. Dies passiert, wenn sich die Aufmerksamkeit der Kunden entsprechend verlagert und das verbleibende Portfolio den Kundenbedarf entsprechend erfüllen kann. Hier kann „guided selling“ zielführend unterstützen.

Leseempfehlung: Erfahren Sie hier, wie Sie einen Guided-Selling-Prozess passend zu einem modularen Baukasten umsetzen können.

Produktabkündigungen am besten als Teil einer strategischen Produktroadmap

Wie beschrieben können Unternehmen nicht dauerhaft das angebotene Produktportfolio immer weiter vergrößern, ohne jemals veraltete oder unprofitable Produktvarianten aus dem Portfolio zu entfernen. Dies führt zwangsläufig zu immer weiter steigender Komplexität in der gesamten Wertschöpfungskette und damit verbundenen Kosten und Aufwänden.

Im Rahmen dieses Blogartikels haben wir ein vereinfachtes Vorgehen betrachtet, mit dem Sie unprofitable Produkte als Kandidaten für Produktabkündigung identifizieren und bewerten können. Wichtig ist hierbei, die Reduktion von Kosten durch Komplexitätsreduktion mit möglichen Verlusten an Umsatz und den Einflüssen auf andere Produktvarianten zu betrachten. Auf diese Weise gelingt es, unprofitable Produktvarianten zu identifizieren.

Wir wollen hier noch darauf hinweisen, dass Produktabkündigungen, die nicht Teil einer vorausgeplanten Produktportfolio-Strategie und entsprechender Produktroadmap sind, oft unternehmensinterne Widerstände überwinden müssen. Das kann der Entwicklungsprojektleiter mit großem Einfluss sein, der die Entwicklung der unprofitablen Produktvariante geleitet hat, oder es gibt einen Key-Account-Manager mit einem einflussreichen Kunden, welcher gerade diese Produktvariante (angeblich) bevorzugt.

Wenn die Abkündigung nicht zu Beginn einer Produkteinführung geplant war, bedarf es außerdem noch eines Vorgehens für einen rechtskonformen Phase-Out, so dass eine abgekündigte Produktvariante nicht aufgrund vertraglicher Verpflichtungen gegenüber Kunden reaktiviert werden muss.

Die punktuelle Identifikation und Abkündigung von unprofitablen Produktvarianten sollte daher als Notfallmaßnahme betrachtet werden, mit der es gelingen kann, kurzfristig Komplexität und Kosten zu reduzieren. Diese Maßnahme sollte aber mittel- und langfristig durch eine umfassende Produktportfolio-Strategie inkl. Produktroadmap ersetzt werden. Eine solche Produktportfolio-Strategie als Grundlage eines modularen Baukastens ermöglicht die proaktive Planung von Produktvielfalt, interner Komplexität und assoziierten Kosten und Aufwänden.

Die Basis einer erfolgreichen Produktporfolio-Strategie ist die detaillierte Kenntnis der Bedürfnisse Ihrer Kunden. In unserer Anleitung zur kundenbedarfsorientierten Marktsegmentierung stellen wir Ihnen eine systematische Methode vor, mit der Sie Kundenbedürfnisse identifizieren und anschließend Ihren Markt entsprechend in Segmente aufteilen können:

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Autor

Karl Bråtegren

Senior Manager 
karl.brategren@modularmanagement.com

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