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Wenn die Software Autos ausbremst

Warum Automobilhersteller ihre digitale Zukunft neu denken müssen

 

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7:22

Ein Versprechen wird zur Belastung

Jahrelang haben Automobilhersteller eine neue Ära angekündigt: Das softwaredefinierte Fahrzeug. In dieser Vision würden Autos wie Smartphones regelmäßig aktualisiert – mit neuen Funktionen über Nacht, erhöhter Sicherheit und einer personalisierten Fahrerfahrung, lange nachdem das Fahrzeug das Werk verlassen hat.Doch die Realität sieht anders aus. Statt nahtloser Upgrades kämpft die Branche mit verzögerten Markteinführungen, gestrichenen Projekten und – in einigen Fällen – sicherheitsrelevanten Rückrufen, die direkt auf Softwaremängel zurückzuführen sind.

Am 19. September 2025 musste Xiaomi über 116.000 Fahrzeuge seines Elektro-Modells SU7 zurückrufen, nachdem Regulierungsbehörden Schwächen im Autobahn-Pilot-System festgestellt hatten. Die Level-2-Fahrerassistenzsoftware reagierte in ungewöhnlichen Verkehrssituationen nicht zuverlässig und warnte Fahrer:innen unzureichend. Nur wenige Monate zuvor hatte Ford sein ambitioniertes „Electronic Brain“-Projekt eingestellt – eine Fahrzeugarchitektur der nächsten Generation, die mit Tesla konkurrieren sollte. Die Entwicklungskosten gerieten außer Kontrolle, und die Software blieb wiederholt hinter dem Zeitplan zurück.

Diese Fälle sind keine Einzelfälle. Sie stehen exemplarisch für eine strukturelle Herausforderung der gesamten Branche: Die Art, wie Automobilsoftware heute entwickelt und betrieben wird, ist der wachsenden Komplexität und dem Tempo der Digitalisierung nicht mehr gewachsen.

Komplexität im Kern

Um die Ursachen dieser Verzögerungen zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die technischen Architekturen moderner Fahrzeuge. Die meisten etablierten Automobilhersteller haben über Jahrzehnte hinweg elektronische Steuergeräte schichtweise aufgebaut. Jede neue Funktion – von Airbags über Infotainment bis hin zu Assistenzsystemen – brachte ihre eigene Hardware und eigene Software mit. Das Resultat: ein Flickenteppich fragmentierter Systeme, deren Zusammenspiel oft unvorhersehbar ist.

Solange Software nur Nebenfunktionen steuerte, war diese Komplexität beherrschbar. Doch im Zeitalter des softwaredefinierten Fahrzeugs, kontrolliert Software zentrale Funktionen wie Lenkung, Bremsen und automatisiertes Fahren. Solche sicherheitskritischen Systeme erfordern eine nahtlose Integration und sorgfältige Validierung. Jede Extremsituation – von vereisten Straßen bis zu unberechenbarem Fahrverhalten anderer Verkehrsteilnehmer – muss vor der Freigabe simuliert und getestet werden. Diese Prozesse sind zeitintensiv. Und in bestehende Systeme, die von Altverkabelung, Altsystemen und zahlreichen Zulieferern geprägt sind, schleichen sich weitere Verzögerungen ein.

Hinzu kommt ein kultureller Graben: Hersteller, die jahrzehntelang in mechanischen Entwicklungszyklen dachten, sollen plötzlich Software-Updates im Wochentakt liefern. Agile Entwicklung, kontinuierliche Integration und Over-the-Air-Tests sind in vielen Entwicklungszentren noch ungewohnte Konzepte. Das Ergebnis ist ein deutliches Missverhältnis zwischen Anspruch und Umsetzung.

Die Kosten des Rückstands

Die Auswirkungen sind erheblich. Verzögerte Softwarebereitstellung bedeutet verspätete Modellanläufe – mit potenziellen Umsatzeinbußen in Milliardenhöhe. Fehler, die im Validierungsprozess übersehen werden, führen zu Rückrufen und beschädigen das Vertrauen der Kund:innen – wie aktuell bei Xiaomi. Zulieferer haben Mühe, sich auf sich ständig verändernde Architekturvorgaben einzustellen, und liefern Baugruppen, die sich nur schwer oder gar nicht integrieren lassen. Gleichzeitig verschärfen Regierungen von Peking bis Brüssel die regulatorische Kontrolle über Fahrerassistenzsysteme. Jede Änderung muss dokumentiert, genehmigt und zertifiziert werden – ein Prozess, der Zeitpläne weiter ausbremst.

Es geht dabei nicht nur um Profitabilität. Die strategische Wettbewerbsfähigkeit steht auf dem Spiel. Tesla und andere digital-native Hersteller haben ihre Plattformen von Beginn an auf zentralisierte, modulare Software ausgelegt. Ihre Fähigkeit, verlässlich und in hoher Frequenz Software-Updates bereitzustellen, ist heute ein klarer Marktvorteil. Traditionshersteller riskieren, dauerhaft ins Hintertreffen zu geraten, wenn sie diese Lücke nicht schnell genug schließen.

Modularität als Weg nach vorn

Es gibt jedoch einen klaren Ausweg: die Übertragung bewährter Prinzipien modularer Produktarchitekturen auf die Software. Anstelle von monolithischem, fest an Steuergeräte gekoppeltem Code, basiert eine moderne Softwarearchitektur auf modularen Bausteinen mit standardisierten Schnittstellen.

Der Vorteil: Validierte Module lassen sich über Fahrzeuglinien und Märkte hinweg wiederverwenden. Ein Modul für Spurhaltung etwa kann in mehreren Modellen genutzt werden – ohne vollständige Neuentwicklung und erneute Tests. Updates werden sicherer, da sie gezielt auf Module begrenzt sind. Risiken für unbeabsichtigte Effekte im Gesamtsystem sinken. Und entscheidend: Die Validierung lässt sich durch digitale Zwillinge und Simulationen erheblich beschleunigen. So können Tausende Szenarien virtuell getestet werden – bevor ein einziges Fahrzeug gebaut ist.

Dieser Wandel ist nicht nur technischer Natur – er verlangt einen organisatorischen Paradigmenwechsel. Governance wird zentral: Schnittstellen müssen klar definiert, durchgängig dokumentiert und eingehalten werden. Zulieferer müssen sich auf Plattformstandards ausrichten, statt individuelle Einzellösungen zu liefern. Und Entwickler:innen brauchen eine neue Kultur des kontinuierlichen Testens und Ausrollens – statt jahrelang auf neue Modellzyklen zu warten.

Vom Rückstand zum Wettbewerbsvorteil

Transformation ist nie einfach. Fords Projektabbruch zeigt, wie teuer es wird, wenn Visionen nicht mit Umsetzungskraft mithalten. Doch die Chancen für diejenigen, die den Wandel meistern, sind gewaltig. Prognosen zufolge wird der Markt für softwaredefinierte Fahrzeuge von 391 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024 auf über 1,6 Billionen US-Dollar bis 2030 anwachsen. Dieses Wachstum wird nicht alle erreichen – sondern nur jene, die Software zuverlässig, sicher und skalierbar liefern können.

Automobilhersteller haben eine Wahl: Entweder sie setzen auf kurzfristige Reparaturen fragmentierter Systeme – mit allen bekannten Risiken. Oder sie machen modulare Softwarearchitekturen zur strategischen Priorität, investieren in Governance, Simulation und Lieferantenintegration – und verwandeln heutige Herausforderungen in nachhaltige Wettbewerbsvorteile. Denn im Zeitalter des Software-Defined Vehicle ist Software nicht Beiwerk – sie ist das Fahrzeug.

Und nur Unternehmen, die Modularität nicht nur im Metall, sondern auch im Code beherrschen, werden die Straße in die Zukunft anführen. Die am Beispiel Auto aufgezeigte Situation gilt auch mehr und mehr für den Anlagen- und Maschinenbau. Selbst Kaffeeautomaten sind von dieser Entwicklung nicht ausgenommen.

Weiterführende Inhalte zur Software-Modularisierung gerade im Zusammenspiel mit Hardware finden Sie in diesem Artikel oder in der kompletten Blog-Übersicht.