Wieso Modularisierung ohne passende Governance nicht funktioniert

Jochen Hofmann & Ingo Bögemann

Wenn sich Unternehmen für die Entwicklung eines modularen Baukastens als Teil einer umfassenden Modularisierungsstrategie entscheiden, liegt der Fokus häufig auf der technischen Umsetzung der modularen Produktarchitektur. Hierbei wird aber nicht immer beachtet, dass die Entwicklung, Lenkung und Optimierung über den gesamten Lebenszyklus eines modularen Baukastens auch eine passende Organisationsstruktur braucht.

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Die modulare Produktentwicklung basiert auf einer klaren modularen Strategie sowie quantifizierter Potentiale, die mit dieser gehoben werden sollen. Getragen wird die Modularisierung von den Säulen der Governance für den modularen Baukasten. Hierzu Susanne Flyckt Sandström, Präsidentin bei Modular Management Schweden, „Die Herausforderung bei der Modularität besteht also nicht nur darin, die Produktarchitektur zu erzeugen, sondern die Modularität zu leben – und das fängt ganz oben an“.

Leseempfehlung: Eine Grundlage für den Erfolg eines modularen Baukastens ist die quantitative Ermittlung des Impacts auf den Geschäftserfolg. Lesen Sie hier, wie die finanziellen Potenziale der Modularisierung ermittelt werden.

In diesem Blogartikel zeigen wir Ihnen typische Konflikte, die entstehen, wenn Organisation und Kultur bei der Entwicklung eines modularen Baukastens vernachlässigt werden. Wir werden Ihnen außerdem 4 Säulen der Organisation in Bezug auf Modularisierung vorstellen. Mit unserem Excel-Tool zum Download können Sie im Anschluss eine erste Bewertung Ihrer eigenen Organisation durchführen und so herausfinden, ob Ihr Unternehmen für einen erfolgreichen modularen Baukasten bereits hinreichend aufgestellt ist:

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Klassische Organisation in Projekten und Silos

Insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau wird anhand von historisch gewachsenen Prozessen in unabhängigen Entwicklungsprojekten eine Produktvariante oder Produktlinie nach der anderen entwickelt. Die Entwicklung findet häufig in „Produktsilos“ statt. Die Verantwortung für die Produktvariante oder Produktlinie obliegt einem Projektleiter. Die Verantwortung für die technische Entwicklung der benötigten Komponenten wiederum obliegt der Entwicklungsleitung für das Projekt. Wie in der Abbildung dargestellt sind die unterschiedlichen Produkte und Projekte voneinander getrennt.

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Entsprechend der historisch gewachsenen Prozesse und Hierarchien agieren die einzelnen Projekte/Silos weitgehend unabhängig voneinander. Ziele für Kosten, Qualität, Zeit und weitere wichtige KPIs (Key Performance Indicator, Kennzahlen) werden entsprechend der Zielsetzung dieser einzelnen Projekte umgesetzt.

Der organisatorische Einfluss auf das technische Ergebnis von Entwicklungsprojekten ist an diesem Beispiel leicht nachzuvollziehen. Wieso sollte ein Projekt- bzw. Entwicklungsleiter die technischen Lösungen seines Produktes so gestalten, dass eine Wiederverwendung in anderen Bereichen erfolgen kann? Die zusätzlichen Leistungsanforderungen hätten negative Auswirkungen für seine KPIs - Kosten, Qualität und Zeit.

Neben dem Denken und Arbeiten in den Silos in Form von Produkten und Entwicklungsprojekten ist auch die Arbeit und Kommunikation innerhalb der einzelnen Abteilungen fokussiert. Entwicklung, Produktplanung, Vertrieb und Produktion arbeiten die meiste Zeit unabhängig voneinander. Die Schnittstellen zwischen den Abteilungen sind in Form von prozessual definierten Dokumenten umgesetzt – sobald das Produktmanagement die Anforderungen für ein neues Produkt in Form eines Lastenhefts festgeschrieben hat, wird dieses versioniert und an die Entwicklungsabteilung weitergegeben.

Diese Arbeitsweise in den Grenzen von Abteilungen spiegelt sich auch in der Verarbeitung der Daten wider. Diese werden in verschiedenen Systemen erzeugt, bearbeitet und verwaltet. Die Weitergabe zwischen Abteilungen findet in Form von Textdokumenten, Tabellenkalkulationen oder Präsentationen statt, die als E-Mail-Anhänge ohne kontrollierte Versionierung versendet werden. Die Grafik stellt diese Situation dar – der Austausch zwischen verschiedenen Abteilungen ist fehleranfällig. Und so kommt es auch immer wieder zu Dateninkonsistenzen.

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Leseempfehlung: Lesen Sie in unserem Artikel „Mit dem richtigen Software-Tool schneller und besser zum modularen Baukasten“ wie eine gemeinsames und konsistentes Datenmodell die interdisziplinäre Zusammenarbeit bei der Baukastenentwicklung unterstützt.

Zielkonflikt – Wenn klassische Organisationen versuchen modular zu entwickeln

Bei modularer Produktentwicklung werden mehrere Produkte und Produktvarianten, die zuvor unabhängig waren, in einem Modulbaukasten zusammengeführt. Diese Baukästen werden auf Basis von Anforderungen für ein übergreifendes neues Produktportfolio entwickelt. Das kann zu Konflikten mit den zuvor beschriebenen Strukturen führen. Wo vorher viele Personen individuelle Baugruppen für individuelle Produktvarianten entwickelt haben, muss nun das Wissen aus vielen verschiedenen Köpfen zusammengeführt werden, um portfolioübergreifende Anforderungen und Zielsetzungen mit einem modularen Baukasten zu erfüllen. Dies führt typischerweise zu Konflikten aufgrund der zuvor beschriebenen Strukturen und Arbeitsweisen.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Bei Modularisierung tritt die gemeinsame interdisziplinäre Entwicklung an die Stelle der Arbeit in Silos, bei der jede Abteilung weitestgehend abgeschottet arbeitet. Hierbei müssen die Anforderungen für das gesamte Produktportfolio schon früh definiert werden. Entsprechend dieser Anforderungen wird ein gemeinsames Konzept für technische Lösungen, damit verbundene Komponenten und Schnittstellen über alle Produktvarianten hinweg entwickelt. Diese Vorverlagerung des Aufwandes wird als Frontloading bezeichnet.

Dieses Vorgehen hat Auswirkungen auf die Schnittstelle zwischen Entwicklung, Vertrieb, Produktmanagement und Marketing. Insbesondere in der frühen Phase der Konzeption des Baukastens müssen die verschiedenen Abteilungen intensiv zusammenarbeiten und es sollte vermieden werden, dass die Entwicklung federführend hinter verschlossenen Türen ein rein technisch orientiertes Konzept erarbeitet, das erst, wenn es fertig ist, den anderen Abteilungen vorgestellt wird. Solche Lösungen stoßen häufig auf Ablehnung. Die Abbildung illustriert, dass insbesondere in den frühen Phasen des Baukastenentwicklung eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit gefordert ist.

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Verantwortung & Ziele

Die Modularisierungsstrategie bringt ein eigenes Zielsystem mit sich, das an Unternehmensstrategie und Kundenbedarf orientiert ist. Zu diesen Zielen gehören auch entsprechende KPIs, um die Erreichung der Ziele zu kontrollieren und sicherzustellen. Wenn existierende Zielvorgaben, Rollen und Verantwortungen nicht entsprechend angepasst werden, entsteht ein Zielkonflikt.

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Wie die Grafik illustriert, konkurriert die übergeordnete Modulstrategie mit den individuellen Zielen einzelner Entwicklungsprojekte. Wer ist verantwortlich für die Wiederverwendung von Modulen in verschiedenen Produkten und Projekten, wenn die Organisation diese Aspekte der Baukastenstrategie aufgrund fehlender Rollen nicht berücksichtigen kann? In der Praxis heißt das ‚Wer zuerst kommt, mahlt zuerst‘: Das Produkt, welches zeitlich gesehen zuerst da ist, gibt also die Anforderungen vor, auf deren Grundlage entwickelt wird. Wenn nachfolgende Projekte, wiederum mit eigenen Zielvorgaben bezgl. Zeit, Kosten und Leistung, die Lösungen der Vorgänger nicht nutzen können, entwickeln sie wieder eigene Lösungen. Die modulare Strategie wird so zu einer guten Intention, die in der Praxis nicht umgesetzt werden kann.

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Wenn die organisatorischen Säulen für die modulare Produktentwicklung fehlen, droht diese zu scheitern. Konflikte zwischen einer neuen modularen Produktentwicklungsstrategie und der existierenden Organisationsstruktur und Unternehmenskultur lassen sich aber vermeiden, indem schon zu Anfang des Modularisierungsprojektes das Thema Governance (Führung, Lenkung) für Modularisierung berücksichtigt wird. Im Folgenden Absatz stellen wir Ihnen die relevanten Säulen vor.

Governance für Modularisierung

Bei Governance für Modularisierung betrachten wir die Themenbereiche Führung, Prozesse & Werkzeuge, Ressourcen & Fähigkeiten sowie Kultur & Werte. Im Rahmen eines Modularisierungsprojektes wird die Unternehmensorganisation im Hinblick auf diese Themenbereiche analysiert, um so Defizite aufzudecken, die behoben werden müssen, um den langfristigen Erfolg eines modularen Baukastens zu ermöglichen.

Führung

Die Unterstützung und ein klares Commitment des Top-Managements sind für den Erfolg einer Modularisierungsstrategie besonders wichtig. Nur wenn diese Unterstützung vorliegt, kann eine abteilungsübergreifende und interdisziplinäre Akzeptanz über alle Hierarchieebenen im Unternehmen geschaffen werden. Die modulare Produktarchitektur muss hierbei klar in der Unternehmensstrategie- und Vision verankert sein und das Tagesgeschäft muss sich an dieser Modularisierungsstrategie orientieren. Damit dies gelingt bedarf es unter anderem passender KPIs, um den Erfolg von Modularisierung messbar zu machen und eine gezielte Steuerung zu ermöglichen.

Prozesse & Werkzeuge

Die modulare Entwicklung wird häufig separat gesteuert. Um Redundanzen zu vermeiden und Synergien optimal zu nutzen, bedarf es aber einer Integration mit den Kernprozessen des Unternehmens. Weiterhin sollte die prozessuale Verankerung cross-funktionale Koordination und Partizipation unterstützen, da die Entwicklung eines modularen Baukastens abteilungsübergreifend und über Silogrenzen hinweg stattfindet.

Dies muss sich auch in der Erfassung und Verarbeitung von Daten für den Modulbaukasten widerspiegeln. Hierbei greifen verschiedene Software Tools auf gemeinsame, möglichst zentral verwaltete Datensätze zu: Von der Erzeugung von Daten im Rahmen der Definition der modularen Produktarchitektur, über die Umsetzung der Architektur in Sales- und Engineering-Konfiguratoren bis hin zur automatisierten Angebotserstellung.

Ressourcen & Fähigkeiten

Für den Erfolg eines modularen Baukastens ist die Einbindung des gesamten Unternehmens entscheidend. Es muss daher darauf geachtet werden, dass Vision und Strategie entsprechend kommuniziert und in das Tagesgeschäft verankert sind. Es bedarf eines gemeinsamen Verständnisses der Ziele und des Vorgehens zwischen Vertrieb, Produktmanagement, Entwicklung und Fertigung.

Damit eine portfolioübergreifende Anforderungsdefinition und Wiederverwendung gelingen kann ,bedarf es der passenden Verantwortlichkeiten insbesondere in der Produktentwicklung einschließlich eines Entscheidungsmodells für die Einführung neuer Produktvarianten, bei dem sowohl der Umsatz als auch die Kosten für die Neuentwicklung berücksichtigt werden.

Leseempfehlung: Lesen Sie in unserem Artikel zum Thema Profitabilität im Variantenmanagement, wie eine aktive Steuerung der Profitabilität über die gesamte Lebensdauer der modularen Produktarchitektur funktioniert.

Kultur & Werte

Häufig werden bei der Entwicklung von Baukästen ausschließlich technische Aspekte beachtet. Dies führt zu einer modularen Produktarchitektur, deren Effekt hinter den Erwartungen zurückbleibt. Ein modularer Baukasten kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn es im Interesse aller im Unternehmen ist, diesen zu verwenden. Das sollte sich auch in individuellen Zielvereinbarungen widerspiegeln.

Das heißt, dass Mitarbeiter nicht ausschließlich an Erfolgskriterien im klassischen Tagesgeschäft, wie z.B. der Umsatz eines Verkäufers, bewertet werden, sondern das auch berücksichtigt wird, inwiefern Modularisierungs- und Unternehmensstrategie vorangebracht werden und wurden. Mitarbeiter, die dafür sorgen, dass interne Prozesse im Sinne der Strategie umgesetzt werden nehmen dann eine Vorbildfunktion ein.

Leseempfehlung: Lesen Sie in unserem Artikel zum Thema Komplexität im Maschinenbau, was passiert, wenn die Vermeidung von Komplexität nicht in der Unternehmenskultur verankert ist.

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Die Abbildung zeigt eine beispielhafte Bewertung eines Unternehmens in den vier Bereichen. Mit einer solchen Bewertung kann schnell identifiziert werden, welche Säulen der Governance „wacklig“ sind und mit welchen Maßnahmen diese stabilisiert werden können. Im Anschluss an diesen Blog können Sie eine Excel-Bewertungstool herunterladen, mit dem sie eine erste Bewertung Ihrer Organisation selbst durchführen können.

Ist Ihre Organisation bereit für modulare Entwicklung?

Bei der Planung und Umsetzung modularer Produktarchitekturen legen Unternehmen den Fokus häufig auf die technische Umsetzung des modularen Baukastens. Wenn hierbei die organisatorischen Säulen die es für eine langfristig erfolgreiche Entwicklung, Lenkung und Optimierung des Baukastens braucht, vernachlässigt werden, kommt es zu Konflikten zwischen Organisationsstruktur und Modularisierungsstrategie.

Damit die modulare Produktentwicklung stabil auf dem Fundament der Modularisierungsstrategie stehen kann, muss die Organisation in den Bereichen Führung, Prozesse & Werkzeuge, Ressourcen & Fähigkeiten sowie Kultur & Werte entsprechend vorbereitet und entwickelt werden.

Unser Excel-Evaluierungstool erlaubt Ihnen eine einfache erste Bewertung Ihres Unternehmens bezüglich Governance. So können Sie direkt Bereiche identifizieren, in denen Maßnahmen nötig sind, um Ihre modulare Produktarchitektur langfristig erfolgreich zu machen:

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