Unser Projektpartner: MTS Systems Corporation
MTS Systems Corporation ist ein börsennotiertes Unternehmen mit über 500 Mio. USD Jahresumsatz und mehr als 2.000 Mitarbeitenden zum Zeitpunkt des Projekts. Seit 1966 entwickelt und produziert MTS hochspezialisierte Mess- und Prüfsysteme für den Fahrzeugbau, die Luft- und Raumfahrt, das Bauwesen sowie biomedizinische Anwendungen.
Die Systeme simulieren mechanische Beanspruchungen und liefern Daten zur Leistungsfähigkeit und Langzeitbeständigkeit von Werkstoffen, Komponenten und kompletten Systemen. Jedes Prüfsystem besteht aus einer kundenspezifischen Kombination standardisierter und spezialisierter Komponenten – ergänzt durch angepasste Softwarelösungen. Die Entwicklung erfordert hohe Ingenieurkompetenz, Konfigurationsflexibilität und Applikationsnähe.
Den größten Anteil am Umsatz erzielt MTS mit Neusystemen. Aufgrund der typischen Produktlebensdauer von 20 bis 25 Jahren spielt auch das Service- und Ersatzteilgeschäft eine wesentliche Rolle. MTS ist in Minneapolis (USA) ansässig und operiert weltweit über ein Netzwerk eigener Vertriebs- und Tochtergesellschaften.
Bereits ab Anfang der 2000er-Jahre profitierte das Unternehmen von einem deutlichen Marktwachstum in Schwellenländern, in denen die Industrie zunehmend komplexere und hochwertigere Produkte fertigte. Durch seine frühe Präsenz in diesen Regionen war MTS ideal positioniert, um neue Geschäftsmöglichkeiten zu erschließen.
In seiner Marktnische galt MTS als Technologieführer mit zahlreichen Schlüsselpatenten – eine Position, die über Jahre hinweg hohe Margen, stabile Nachfrage und eine hohe Preisakzeptanz sicherte, trotz langer Lieferzeiten.
Ergebnisse
–90 % Einzelteile
–35 % Kosten bei Kundenprojekten
–70 % Vorlaufzeiten
Fertigungsproduktivität: 48 Tage → 14 Tage pro Einheit
Montageprozessschritte: 24 → 10
–75 % laufenden Fertigungslagerbestand
„Mit der modularen Plattform haben wir einen Kostenvorteil erzielt. Wir haben die Vielfalt an Einzelteilen reduziert.“
Laura Hamilton
CEO MTS
Herausforderungen im Unternehmen
Mit der zunehmenden Marktdynamik traten neue Wettbewerber in den Markt ein, während etablierte Anbieter ihre Strategien anpassten. Parallel entstand eine neue Produktkategorie: funktional reduzierte, aber zweckmäßige Prüfsysteme – günstiger, schneller lieferbar und zunehmend wettbewerbsfähig. In diesem Umfeld wurden die traditionellen Stärken von MTS – hohe Individualisierung, lange Lieferfristen, hoher Preis – immer schwerer vermittelbar.
Das Unternehmen war entlang spezialisierter Nischen organisiert, etwa für Stoßdämpferprüfstände, Luftfahrtmaterialien, Asphalt oder orthopädische Implantate. Jede Einheit agierte weitgehend autonom, inklusive separater Buchhaltung und Profitabilitätssteuerung auf Auftragsbasis. Diese Struktur ermöglichte zwar eine optimierte Einzellösungsleistung, führte aber zu:
- steigender Variantenvielfalt,
- wachsender Einzelteilanzahl und
- intransparenter Gesamtkostenstruktur.
Die projektbasierte Arbeitsweise stieß zunehmend an Effizienzgrenzen. Lieferzeiten verlängerten sich, Qualitätsschwankungen nahmen zu, und die Organisation geriet an ihre Belastungsgrenze. Eine inkrementelle Weiterentwicklung war nicht mehr ausreichend – es bedurfte eines grundlegenden Strukturwandels, um Kundenanforderungen wirtschaftlich erfüllen zu können.
Strukturelle Defizite im Marketing, Vertrieb und Produktmanagement
Die zentrale Marketingabteilung war personell unterbesetzt und organisatorisch fragmentiert. Sie sollte eine Vielzahl hochspezialisierter Märkte und Produktgruppen koordinieren, konnte aber kaum Prioritäten setzen. Produktanpassungen dauerten mitunter mehrere Jahre, da Entwicklungskapazitäten knapp waren. Eine systematische Weiterentwicklung nach der Markteinführung war kaum möglich.
Auch der Vertrieb war nischenspezifisch aufgestellt. Teams aus Vertriebs- und Anwendungstechnikern entwickelten tiefes Kundenverständnis und strebten maßgeschneiderte Lösungen an – teilweise detaillierter als vom Kunden gefordert. Das führte zu einer extrem breiten Konfigurationsvielfalt mit geringer Wiederverwendung und wachsender operativer Belastung.
Ein Produktkonfigurator sollte diese Komplexität begrenzen. Zwar verbesserte er die Kommunikation zwischen Vertrieb und Entwicklung, doch fehlten zentrale Funktionen: Es gab keine Prüfung auf technische Machbarkeit, Serienstand oder Wirtschaftlichkeit. Die Folge: Vertrieb konfigurierte ohne Restriktionen, Entwicklung kompensierte die Lücken in der Projektarbeit.
Ineffiziente Prozesse, Wissensinseln und steigende Kosten
Die enge Kopplung von Entwicklung und Engineering verursachte hohe Personalkosten. Techniker begleiteten jeden Projektauftrag durch den gesamten Produktionsprozess – mit jeweils eigenem Dokumentensatz. Trotz mehrfach verkaufter Modelle entstanden kaum Skaleneffekte, da Prozesse kaum standardisiert waren. Innovationen erfolgten meist nur auf Kundenwunsch – inklusive Risiken für Zeit und Budget.
Effizienzverbesserungen basierten vorwiegend auf individuellem Erfahrungswissen einzelner Mitarbeiter. Statt auf gemeinsame Plattformen zurückzugreifen, entwickelten viele lieber neu, um die Komplexität bestehender Dokumentationen zu umgehen. Dieses System funktionierte nur so lange, wie erfahrene Mitarbeitende verfügbar waren – ein strukturelles Risiko.
Auch in der Fertigung dominierten Einzelanpassungen. Die Breite der eingesetzten Komponenten war hoch, Einkaufsvolumina dagegen gering. Es fehlten zentrale Vorabschätzungen, Preisvergleiche oder Skalenvorteile. Die längste Vorlaufzeit einer Einzelkomponente bestimmte die Lieferzeit des Gesamtprojekts. Schwankende Verfügbarkeiten und geringe Einkaufsmacht verschärften das Problem zusätzlich.
Bereits ab 2002 versuchte MTS, durch Reduktion des Projektaufwands Effizienzgewinne zu erzielen. Doch die Struktur war zu fragmentiert, um mit dem Markttempo Schritt zu halten. Ein Ausbau des bestehenden Systems erschien nicht tragfähig. Die Geschäftsleitung erkannte, dass nur ein tiefgreifender organisatorischer Wandel – weg von individueller Projektabwicklung hin zu einem modularen, skalierbaren System – die Zukunftsfähigkeit sichern konnte.
Gesetzte Optimierungsziele
Die operative Überlastung und der wachsende wirtschaftliche Druck zwangen MTS zur grundlegenden Neuausrichtung. Ziel war es, die Profitabilität dauerhaft zu stabilisieren und gleichzeitig Raum für weiteres Wachstum zu schaffen. Dazu wurde eine neue Organisationsstruktur etabliert, die sich nicht länger an kleinteiligen Marktsegmenten, sondern an übergeordneten wirtschaftlichen Funktionen orientierte.
Zwar gingen dadurch lokale Optimierungen verloren, doch die bisherige Nischenlogik hatte sich überlebt – die operative Fragmentierung verhinderte Skalierung und Reaktionsgeschwindigkeit. Gleichzeitig fehlte oft das nötige Fachwissen genau dort, wo es gebraucht wurde.
„Market Leader Challenge“ und Modularitätsstrategie
Ab 2004 startete MTS mehrere Initiativen, um Wettbewerbsfähigkeit, Organisation und Produktsystematik neu auszurichten. Die „Market Leader Challenge“ fokussierte sich auf die Stärkung marktführender Eigenschaften von Produkten und Prozessen. Ein zentrales Element war die Einführung modularer Architekturen im Rahmen der Initiative „Leverage Product Offerings“:
- Aufbau eines Plattformmodells für Produkte mit höheren Stückzahlen
- Schnelle, skalierbare Reaktion auf wachsende Nachfrage aus Entwicklungsregionen
- Ausbau der Variantenvielfalt ohne Zunahme der Komplexität
Als Pilot wurde die Produktfamilie der “servohydraulischen Materialprüfstände” ausgewählt – ein Segment mit wachsendem Wettbewerb und hohem Umsatzanteil. Das Projekt wurde so aufgesetzt, dass es in einem isolierten, neuen Umfeld getestet und anschließend auf weitere Bereiche übertragbar gemacht werden konnte. Fokus: technische Konsolidierung über mehrere Nischen hinweg.
Ziele: Lieferzeiten, Effizienz und Skalierbarkeit
Die Prüfsysteme kommen in einer Vielzahl von Anwendungen zum Einsatz – von komplexen Lebensdaueruntersuchungen bis hin zu einfachen Zug- und Drucktests. Die Zielvorgaben für die neue modulare Plattform waren ambitioniert:
- Lieferzeit: < 48 Tage für Standardkonfigurationen
- 80 % der Aufträge vollständig aus vorhandenen Modulen konfigurierbar
- Nur 20 % erfordern teilindividuelle Anpassung – ebenfalls mit modularer Basis
Strukturelle Effizienz statt zusätzlicher Ressourcen
Ein zentrales Prinzip des neuen Ansatzes: Wachstum sollte durch Effizienz, nicht durch zusätzliche Fertigungsflächen oder Ressourcen erfolgen. Konkret bedeutete das:
- −30 % Arbeitskosten durch Umstieg von Entwicklung auf Konfiguration
- −90 % Gesamtteileanzahl durch modulare Vereinheitlichung
- < 10 neue Bauteile pro Woche als Zielvorgabe für die Entwicklung
Was wir zusammen erreicht haben
Durch die Einführung einer modularen Produktarchitektur konnte MTS die notwendige Effizienz und Kapazität aufbauen, um mit dem Marktwachstum Schritt zu halten. Die gezielte Wiederverwendung von Komponenten über Anwendungsgrenzen hinweg ermöglichte erstmalig Größenvorteile – selbst in einem willkürlich gewählten Produktausschnitt.
CEO Laura Hamilton fasste es so zusammen: „Mit der modularen Plattform haben wir einen Kostenvorteil erzielt. Wir haben die Vielfalt an Einzelteilen reduziert.“
Neue Organisationslogik und kultureller Wandel
Der Erfolg beruhte maßgeblich auf funktionsübergreifenden Teams, die wirtschaftlich relevante Bereiche verantworteten. Sie übertrugen das Prinzip der Modularität auf ihre jeweiligen Fachdomänen – mit sichtbarem Erfolg. Das Management entschloss sich daraufhin, die Plattformstrategie auf weitere Produktbereiche wie elektronische Steuerungen und Softwarelösungen auszuweiten.
Die modularisierte Plattform für servohydraulische Materialprüfstände wurde zum Katalysator:
- Zahlreiche Nischenlösungen konnten in kurzer Zeit erneuert werden
- Die Variantenvielfalt wurde mehr als verdoppelt
- Leistung und Funktionalität profitierten von einer konsistenten Systemarchitektur
Vertriebsstruktur und Produktkonfigurator: Vom Spezialisten zum Systemlieferanten
Parallel wurde der Vertrieb grundlegend neu aufgestellt – nicht mehr segment- oder anwendungsspezifisch, sondern regional. Die Vertriebsteams arbeiteten fortan mit vordefinierten Produktvarianten, gestützt durch einen neuen, systemintegrierten Produktkonfigurator. Dieser basierte direkt auf den Modulen der neuen Architektur und garantierte:
- Technische Machbarkeit jeder Konfiguration
- Reibungslose Übergabe an Produktion und Logistik
- Lieferzeiten unabhängig von individueller Entwicklerleistung
Auch das Marketing wurde neu strukturiert: Die Verantwortung für Kernkomponenten der Plattform lag nun bei dedizierten Produktmanagern, während anpassbare Elemente wie Software oder Befestigungssysteme separat betreut wurden.
Entwicklungsfokus und Plattformstrategie
Die Entwicklung verlagerte sich vom projektgetriebenen Einzelgeschäft hin zur planvollen Vorentwicklung ganzer Plattformen. Dazu wurde eine eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung aufgebaut, die unabhängig vom Tagesgeschäft agierte.
Die Auswirkungen auf die Produktstruktur waren signifikant:
- Reduktion der Teilevielfalt um bis zu 90 %
- Vorher: 11.000 Teile für 150 Varianten
- Nachher: 800 Teile für 100.000 konfigurierbare Varianten
- Modularität ermöglichte partielle Nutzung auch in kundenindividuellen Prüfsystemen
Digitale Dokumentation und strukturierte Prozesse
Ein zentrales Projektergebnis war die vollständige Digitalisierung der technischen Dokumentation. CAD-Modelle und e-Zeichnungen wurden automatisiert aus Konfigurationsdaten generiert.
Ergebnis:
- −18 bis −35 % projektspezifische Entwicklungskosten
- Verbindliche Änderungsprozesse – keine informellen Anpassungen mehr möglich
- Integration von Fertigungsdaten in jede Produktkonfiguration
Operative Ergebnisse: Effizienzsteigerung messbar umgesetzt
Die Modularisierung ermöglichte signifikante operative Verbesserungen:
- Durchlaufzeit reduziert von 48 auf 14 Tage
- −75 % Umlaufbestand
- Montageweg verkürzt von 1,2 km auf unter 100 m
- Montageschritte reduziert von 24 auf 10
- Deutlich weniger Nacharbeit
Alle Module werden vorkonfektioniert und getestet. Die Montage erfolgt in spezialisierten Zellen, die nach Baukastenprinzip strukturiert sind. Das Ergebnis ist eine kontrollierte, skalierbare Produktion bei gleichzeitig hoher Variantenflexibilität.
Lieferkette: Planbar, skalierbar, robust
Die neue Struktur ermöglichte eine vorausschauende Steuerung der Lieferkette:
- Komponenten wurden in drei Stufen gegliedert (nach Vorlaufzeit und Verwendungshäufigkeit)
- Häufig benötigte Teile (Stufe 1) wurden eng überwacht und vorgehalten
- Seltener genutzte Komponenten (Stufen 2 und 3) wurden bedarfsgesteuert beschafft
- Selbst bei Einzelanfertigungen war die Vorlaufzeit konsistent planbar
Modulare Architektur in Aktion
Ein zentrales Ergebnis der modularen Neugestaltung war die Entwicklung der „integralen Traverse” – einer Schlüsselbaugruppe innerhalb der Plattform für servohydraulische Materialprüfstände. Eine detaillierte Funktionsanalyse zeigte, dass zahlreiche Einzelaufgaben in diesem breit angelegten Modul zusammengeführt werden konnten.
Die Traverse wird als vormontiertes und vollständig getestetes Modul gefertigt und anschließend in das Prüfsystem integriert. Dank standardisierter Schnittstellen ist sie flexibel einsetzbar und lässt sich in unterschiedlichsten Konfigurationen verwenden. Die Variantenbildung erfolgt erst spät im Produktionsprozess – etwa über anschraubbare hydraulische Verteilerblöcke, die kundenspezifisch ergänzt werden.
Ein wesentlicher Vorteil: Die komplexe, gießtechnisch aufwendige Komponente wird in wenigen Grundvarianten vorproduziert und eingelagert. Die finale Bearbeitung des Gussrohlings erfolgt erst bei Auftragseingang – ein klarer Zugewinn an Flexibilität und Lieferfähigkeit.
Entstanden ist dieses modulare System nicht durch klassische Einzelentwicklung, sondern durch den systematischen Einsatz der Methodik Modular Function Deployment (MFD). Damit wurden die Schnittstellen und Funktionen der Module so definiert, dass sie sowohl funktionale als auch strategische Ziele erfüllen – etwa Variantenreduktion, Wiederverwendbarkeit und Lagerfähigkeit.
Der Erfolg dieses Ansatzes zeigt sich in doppelter Hinsicht: durch messbaren Kundennutzen und durch betriebswirtschaftliche Vorteile im gesamten Produktlebenszyklus.